Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus dem Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsorts der Klägerin im Sinne von Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO. Dies ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer die mit seinem Arbeitgeber vereinbarten Tätigkeiten tatsächlich ausübt.
Anwendbarkeit der EuGVVO auf Arbeitsverhältnisse
Die EuGVVO ist seit ihrem Inkrafttreten am 1.03.2002 in allen ihren Teilen verbindlich, gilt unmittelbar und geht nationalem Recht im Rang vor. Gemäß ihrem Art. 1 ist sie mit Ausnahme einiger ausdrücklich angegebener Rechtsbereiche auf alle Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen anzuwenden. Die Beklagte unterfällt ihren Bestimmungen, weil sie ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland und damit in einem EU-Mitgliedstaat hat. Nach Art. 60 Abs. 1 EuGVVO haben Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Das ist hier L. Käme es, wie die Beklagte meint, auf den Sitz ihrer Rechtsvorgängerin bei Klageerhebung an, änderte sich an der Anwendbarkeit der EuGVVO nichts. Diese hatte ihren Sitz im EU-Mitgliedstaat B.
Soweit Gegenstand des Verfahrens Ansprüche sind, die aus einem individuellen Arbeitsvertrag abgeleitet werden, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach Kapitel II Abschn. 5 der EuGVVO. Maßgebend sind danach Art. 18 ff., soweit darin nicht auf andere Vorschriften der EuGVVO verwiesen wird.
Ort der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung
Die in den Vorschriften der EuGVVO über die Zuständigkeit für Arbeitsverträge enthaltenen Begriffe sind in Übereinstimmung mit den Kriterien auszulegen, die der Europäische Gerichtshof zu den gleich lautenden Begriffen im Brüsseler Übereinkommen von 27.09.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüsseler Übereinkommen) entwickelt hat. Für die Bestimmung des nach Art.19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO maßgebenden Ortes, “an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet”, ist damit auf das Verständnis des identischen Begriffs in Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens zurückzugreifen. Für dieses Verständnis wiederum ist das Ziel der Regelung zu berücksichtigen, dem Arbeitnehmer als der schwächeren Vertragspartei einen angemessenen Schutz zu gewährleisten. Ein solcher Schutz ist größer, wenn Streitigkeiten aus einem Arbeitsvertrag in die Zuständigkeit der Gerichte des Ortes fallen, an dem der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber faktisch erfüllt. An diesem Ort kann sich der Arbeitnehmer mit dem geringsten Kostenaufwand aktiv an die Gerichte wenden oder sich vor ihnen als Beklagter zur Wehr setzen.
Unter dem Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, ist der Ort zu verstehen, an dem er die mit seinem Arbeitgeber vereinbarten Tätigkeiten tatsächlich ausübt. Erfüllt er die Verpflichtungen aus seinem Arbeitsvertrag in mehreren Mitgliedstaaten, ist dies der Ort, an dem oder von dem aus er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt.
Keine abweichende Regelung für Flugzeugpersonal
Eine hiervon abweichende Regelung für Flugzeugführer oder Flugzeugpersonal gibt es nicht. Insbesondere enthält die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 vom 24.09.2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft keine Regelungen zur Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsorts von Flugpersonal.
Bei Anwendung dieser Grundsätze war im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall die “Crew-Base” in L der gewöhnliche Arbeitsort der Klägerin im Sinne von Art.19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO. Dort bzw. von dort aus hat sie den wesentlichen Teil ihrer Verpflichtungen gegenüber der EAT tatsächlich erfüllt.
Die Klägerin im vorliegenden Fall, eine Flugkapitänin, hat ihre Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten ausgeübt. Zu ihren wesentlichen Aufgaben als Flugkapitänin gehörten neben dem Fliegen auch die Vor- und Nachbereitung der von ihr durchgeführten Flüge.
Die Klägerin hat seit ihrer Versetzung an die “Base” in L im April 2008 und damit während der überwiegenden Zeit der Dauer ihres Arbeitsverhältnisses ihre Arbeit dort aufgenommen und beendet. Sie hat die ihre Tätigkeit betreffenden Weisungen in L entgegengenommen, hat ihre Flüge von dort aus durchgeführt und hat sie dort beendet. Zu Gunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass die der Klägerin erteilten Weisungen von Z aus erfolgten. Das ist für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsorts der Klägerin ohne Bedeutung.
In L begannen und endeten nicht nur die Flugeinsätze der Klägerin. Sie führte dort auch die Vor- und Nachbereitung der Flüge, insbesondere sicherheitsrelevante Vorbereitungen durch. Dafür stand ihr auf der “Base” in L ein eingerichteter Arbeitsplatz zur Verfügung. Hinzu kommt, dass sie sich auch während ihres Bereitschaftsdienstes auf der “Base” oder in deren unmittelbarer Nähe aufzuhalten hatte.
Demgegenüber fällt der jeweilige Registerstaat der Flugzeuge nicht entscheidend ins Gewicht. Es kann dahinstehen, ob für Flugpersonal eine Anknüpfung an den Registerstaat für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsorts iSv. Art.19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO überhaupt in Betracht kommt. Im Streitfall gäbe selbst dann die enge Anbindung der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten an die “Base” in L gegenüber dem Registerstaat der von ihr geflogenen Flugzeuge den Ausschlag.
Keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung
Die Vereinbarung des ausschließlichen Gerichtsstands am Sitz der EAT im Arbeitsvertrag vom 12.12.2007 und sodann der Gerichte im Bezirk Br im Addendum vom 24.04.2008 vermag die nach Art.19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO gegebene internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht auszuschließen. Da sie den Vorschriften in Art. 21 EuGVVO zuwiderläuft, hat sie gemäß Art. 23 Abs. 5 EuGVVO keine rechtliche Wirkung.
Ziff. 9 des Arbeitsvertrags und Ziff. 7 des Addendums enthalten eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der “nur” – in den flämischen Originalfassungen: “alleen” – und damit ausschließlich die Gerichte am Sitz der Rechtsvorgängerin der Beklagten bzw. im Bezirk Br zuständig sein sollen.
Diese Vereinbarung ist gemäß Art. 23 Abs. 5 EuGVVO unwirksam.
Eine Gerichtsstandsvereinbarung läuft iSv. Art. 23 Abs. 5 EuGVVO den Regelungen in Art. 21 EuGVVO zuwider, wenn sie von Vorschriften des 5. Abschnitts der EuGVVO abweicht und nicht nach Entstehung des Rechtsstreits getroffen worden ist (Art. 21 Nr. 1 EuGVVO) oder nicht die Befugnis einräumt, andere als im 5. Abschnitt angeführte Gerichte anzurufen (Art. 21 Nr. 2 EuGVVO). Die Befugnis, andere Gerichte anzurufen als diejenigen, die nach den Vorschriften des 5. Abschnitts zuständig sind, ist dahin zu verstehen, dass eine solche Vereinbarung Gerichtsstände begründen muss, die zu den in Art. 18 und Art.19 der EuGVVO vorgesehenen Gerichtsständen noch hinzukommen. Eine vor Entstehung der Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung darf für einen Arbeitnehmer nicht den Ausschluss der zuletzt genannten Gerichtsstände bewirken, sondern kann lediglich die Befugnis begründen oder erweitern, unter mehreren zuständigen Gerichten zu wählen.
Die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien im Arbeitsvertrag und im Addendum weicht von den Vorschriften des 5. Abschnitts der EuGVVO ab, auch wenn sie ursprünglich möglicherweise nur den nach Art. 18, Art.19 EuGVVO einzig gegebenen Gerichtsstand nachgezeichnet und mit einer Veränderungssperre belegt hat. Sie wurde vor Entstehung der Streitigkeit getroffen und sollte gerade für den Fall eine Beschränkung auf die genannten Gerichtsstände herbeiführen, dass diese nach einer Verlegung des Sitzes und/oder des Arbeitsorts mit den nach Art. 18, Art.19 EuGVVO gegebenen Gerichtsständen – wie im Streitfall – nicht mehr übereinstimmten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 2 AZR 481/11