Mit dem Erfordernis der paritätischen Besetzung der Richterbank bei den Gerichten für Arbeitssachen ist es nicht zu vereinbaren, dass ein ehrenamtlicher Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer trotz aktiver Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen weiterhin als ehrenamtlicher Richter der Arbeitnehmerseite tätig bleibt. Dies gilt auch dann, wenn sich der ehrenamtliche Richter nach wie vor der Arbeitnehmerseite verbunden fühlt.
Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn es sich um die Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen auf der Arbeitnehmerseite selbst handelt, etwa bei einer Gewerkschaft oder einer “ausgelagerten” Einrichtung einer Gewerkschaft, z.B. der DGB-Rechtsschutz-GmbH. Die Europäische Akademie der Arbeit in Frankfurt ist keine derartige Einrichtung.
Nach § 21 Abs. 5 S. 1 ArbGG ist der ehrenamtliche Richter auf Antrag der zuständigen Stelle von seinem Amt zu entbinden, wenn das Fehlen einer Voraussetzung für die Berufung nachträglich bekannt wird oder eine Voraussetzung nachträglich wegfällt. Im vorliegenden Fall ist nachträglich bekannt geworden, dass der als ehrenamtliche Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer berufene ehrenamtliche Richter mittlerweile eine Arbeitgeberfunktion übernommen hat. Diese Arbeitgeberfunktion ist mit dem Amt als ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer nicht vereinbar.
Nach § 16 Abs. 2 ArbGG wird jede Kammer des Arbeitsgerichts in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber tätig. Für die Kammern des Landesarbeitsgerichts gilt nach § 35 Abs. 2 ArbGG Gleiches. Beide Vorschriften sind Ausdruck des historisch gewachsenen Grundsatzes der paritätischen Besetzung der Richterbank bei den Gerichten für Arbeitssachen. Dieser Grundsatz soll sicherstellen, dass die unmittelbare Anschauung und der Sachverstand beider Kreise des Arbeitslebens in gleichgewichtiger Weise in die Rechtsprechung eingebracht werden. Zudem soll das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte durch die paritätische Beteiligung von Personen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreisen gefestigt werden.
Mit dem Erfordernis der Parität ist es nicht zu vereinbaren, dass ein ehrenamtlicher Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer trotz aktiver Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen weiterhin als ehrenamtlicher Richter der Arbeitnehmerseite tätig bleibt. Denn in diesem Fall wäre bei seiner Heranziehung die Richterbank nicht mehr paritätisch, sondern mit zwei ehrenamtlichen Richtern desselben “Lagers” besetzt. Der betreffende ehrenamtliche Richter kann auch nicht zur Wiederherstellung der paritätischen Besetzung der Arbeitgeberseite zugeordnet werden. Denn auf Vorschlag der Arbeitgeberseite ist er nicht berufen worden. Daher entfällt bei einem “Lagerwechsel” die Voraussetzung für die Berufung des ehrenamtlichen Richters. Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum durchweg Zustimmung gefunden
Bei der Beurteilung des “Lagerwechsels” ist nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine abstrakte Betrachtungsweise geboten. Es ist nicht darauf abzustellen, ob der betroffene ehrenamtliche Richter sich nach seiner persönlichen Einstellung noch der Seite verbunden fühlt, die ihn für das Amt vorgeschlagen hat. Eine solche innere Verbundenheit wäre weder überprüfbar noch könnten im Einzelfall Interessenkollisionen vermieden werden, die das Gesetz mit dem Grundsatz der paritätischen Besetzung gerade ausschließen will. In Anwendung dieser abstrakten Betrachtungsweise wurden etwa ehrenamtliche Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer von ihren Ämtern entbunden, die eine Tätigkeit als Sozius einer arbeitnehmer-orientierten Anwaltskanzlei, als Arbeitsdirektor eines Unternehmens oder als Personalleiter aufgenommen hatten.
Einschränkungen sind nur insoweit vorzunehmen, als es sich um die Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen auf der Arbeitnehmerseite selbst handelt, etwa bei einer Gewerkschaft. Diese Ausnahme findet ihren gesetzlichen Niederschlag in § 23 Abs. 2 S. 1 ArbGG. Hiernach können u.a. Vorstandsmitglieder von Gewerkschaften zu ehrenamtlichen Richtern aus Kreisen der Arbeitnehmer berufen werden. Wenn selbst Organmitglieder der Gewerkschaften der Arbeitnehmerseite zuzurechnen ist, gilt dies erst recht für die bei den Gewerkschaften mit Personalverantwortung ausgestatteten Führungskräften, also etwa Bezirksleiter oder vergleichbare Personen.
Eine weitere Ausnahme ist nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angezeigt, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die die Annahme rechtfertigen, dass der ehrenamtliche Richter noch dem bisherigen Interessenkreis zuzurechnen ist. Diese weitere Ausnahme lässt sich auf § 23 Abs. 2 S. 2 ArbGG zurückführen, wonach auch bevollmächtigte Personen, die Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich im Eigentum einer Gewerkschaft stehen und die ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder durchführt, als ehrenamtliche Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer berufen werden können. Wie das Tatbestandsmerkmal “sämtlich im Eigentum einer Gewerkschaft stehenden Anteile” zeigt, muss es sich um eine “ausgelagerte” Einrichtung einer Gewerkschaft handeln. Die Regelung zielt vor allem auf die Rechtssekretäre der DGB-Rechtsschutz-GmbH ab. Diese können auch dann zu ehrenamtlichen Richtern berufen werden, wenn sie z.B. als Team- oder Regionalleiter mit Personalverantwortung ausgestattet sind.
Im hier vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall hat der ehrenamtliche Richter mit seiner Ernennung zum Direktor und Leiter der Europäischen Akademie der Arbeit eine Arbeitgeberfunktion übernommen. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 2 S. 2 der Stiftungsverfassung der Akademie. Hiernach vertritt der Leiter der Akademie das Kuratorium in seiner Eigenschaft als Dienstherr des Personals. Hierbei trifft es zu, dass die Vertretungsbefugnis mit einer Einschränkung versehen ist: Sie besteht nicht gegenüber den Dozenten. Die Anstellung der haupt- und nebenamtlichen Dozenten obliegt nach § 6 Abs. 1 a)) der Stiftungsverfassung dem Kuratorium. Aus dem Gesamtzusammenhang dieser beiden Regelungen folgt aber, dass der Leiter der Akademie gegenüber dem sonstigen Personal der Akademie in vollem Umfang Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt. Er ist somit berechtigt, Arbeitsverträge zu schließen, Arbeitsverhältnisse zu beenden und sonstige arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.
Als Leiter der Europäischen Akademie der Arbeit übt Herr A. auch keine Arbeitgeberfunktionen auf der Arbeitnehmerseite selbst aus. Die Europäische Akademie der Arbeit ist keine “ausgelagerte” Einrichtung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Sie ist auch keine Einrichtung, die mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund wirtschaftlich, organisatorisch und satzungsmäßig so eng verknüpft ist, dass sie, wie etwa die DGB-Rechtsschutz GmbH, dessen Interessenkreis zugerechnet werden könnte.
Nach der Präambel zur Stiftungsverfassung wurde die Akademie im Jahr 1951 von zwei Stiftern, dem Land Hessen und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, als Stiftung (wieder)gegründet. Nach § 2 der Stiftungsverfassung ist die Europäische Akademie eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts. Organ der Stiftung ist nach § 4 der Stiftungsverfassung das Kuratorium. Dieses besteht aus drei Vertretern der hessischen Landesregierung, dem Präsidenten der Goethe-Universität Frankfurt am Main, dem Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, fünf vom Deutschen Gewerkschaftsbund benannte Mitglieder, zwei Vertretern der Dozenten der Akademie, drei Vertretern der Hörer und – mit beratender Stimme – einem Vertreter der Beschäftigten.
Aus den aufgezeigten wirtschaftlichen und organisatorischen Regularien folgt, dass die institutionelle Verbindung zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Europäischen Akademie nicht so eng ist, dass die Akademie einer gewerkschaftlichen Einrichtung gleichgesetzt werden könnte. Sie ist keine Einrichtung, deren Vermögen ausschließlich von einer Gewerkschaft gestiftet wurde. Im Kuratorium besitzen die vom Deutschen Gewerkschaftsbund benannten Mitglieder keine Mehrheit. Dem Deutschen Gewerkschaftsbund wäre es nicht möglich, sich bei einem etwaigen Dissens in der wissenschaftlichen Ausrichtung der Akademie durchzusetzen. Die vom Deutschen Gewerkschaftsbund benannten Mitglieder des Kuratoriums sind stets darauf angewiesen, andere Mitglieder des Kuratoriums für die von ihnen vertretene Position zu gewinnen.
Schließlich ist die Europäische Akademie der Arbeit auch von ihrer Zweckbestimmung her keine gewerkschaftliche Einrichtung oder mit einer solchen gleichzusetzen. Sie ist zwar nach der Präambel zur Stiftungsverfassung am 01.05.1921 als erste deutsche Hochschule für das “Volk der Arbeit” ins Leben getreten. Der satzungsmäßige Zweck der Akademie ist auf die Ausbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgerichtet. Die Ausbildung von Studierenden erfolgt aber gerade nicht ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend für Tätigkeiten in den Gewerkschaften. Vielmehr will die Akademie nach § 1 Abs. 2 der Stiftungsverfassung Arbeitnehmer auch für Aufgaben in sonstigen Betrieben, Genossenschaften, Verwaltungen und Einrichtungen des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens ausbilden und dadurch Wissenschaft, Erziehung, Volksbildung und Berufsbildung fördern.
Die Kammer verkennt nicht, dass sich die Europäische Akademie der Arbeit von ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung her gewerkschaftlichen Zielen und Anliegen verbunden fühlt. Ebenso wenig wie aber die Ausrichtung einer Anwaltskanzlei als “Arbeitnehmerkanzlei” ein geeignetes Kriterium ist, um einen anwaltlichen Sozius der Arbeitnehmerseite zurechnen zu können, kann die Ausrichtung einer wissenschaftlichen Einrichtung für die Zuordnung der ehrenamtlichen Richter entscheidend sein. Die generelle Ausrichtung einer Einrichtung ist kein zuverlässiges Kriterium für die individuelle Zuordnung eines ehrenamtlichen Richters. Nur eine formale funktionale Abgrenzung gewährleistet die erforderliche rechtssichere Handhabung.
Damit war der ehrenamtliche Richter A. von seinem Amt als ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer zu entbinden.
Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 1 SHa 34/14